Romys Nacht- und Tag-Buch 117
Mein Gipsbein ist eine großartige Lehrerin. . Unterstützendes Miteinander ist eines der Hauptkriterien gelingenden Lebens. Das ist mir in diesen Tagen auf eindrückliche Weise klar geworden. Ohne die Hilfe meiner Nachbarinnen würde ich momentan nicht zurechtkommen. – Diese Botschaft haben mir vorletzte Woche auch die damals frischgeborenen Kätzchen vermittelt. Aneinanderkuscheln und die Wärme teilen hilft beim Überleben.
Sonntag, 27. April
Ein Telefonat mit meiner Schwester in Japan. Sie erzählt mir vom Begräbnis ihres Mannes. Wie gerne wäre ich dabei gewesen, aber nach dem schlimmen Sturz letzte Woche war an ein schnelles Hinfliegen nicht mehr zu denken. „Du bist ja doch geflogen“, sagt meine Schwester und lacht. „Ja, auf die Nase“, entgegne ich.
„Du warst dabei, – irgendwie – ein Foto vom kleinen Blumenkranz, den du für Osamu gemacht hast, war bei der Begräbnisfeier. Jetzt hängt es in meinem Schlafzimmer über dem Bett.“
Ich bin gerührt. Meine Schwester hatte nach dem Begräbnis für den Start in ihr neues Leben alle Bilder von den Wänden genommen und einzig das Kranzbild gewählt.
Montag, 28. April
Meine Helferinnen haben mir überall Stühle hingestellt. Der schmale Grüne steht im Vorgarten am Wegrand. Hinten auf der Terrasse ist die nächste Station. Da steht mein brauner Polstersessel mit einem Hocker zum Hochlagern des Gipsbeines. Wenn ich die Treppe zum Garten hinunter geschafft habe, steht dort der rote Metallstuhl zum Ausruhen. Beim Teich steht, wie immer, der bequeme Gartenstuhl und hinten, unter den langen Trauerweidenästen, mein Liegestuhl. Bei meinem ersten abenteuerlichen Ausflug begleitet mich die Nachbarin, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich es schaffe, vom Liegestuhl, ohne Hilfe, wieder aufzustehen. Mit Schwung und guter Balance gelingt es und jetzt steht meinen Gartenerkundungsgängen nichts mehr im Weg.

Dienstag, 29. April
Jeden Tag hangle ich mich, zumindest einmal, die vordere Treppe hinunter, um am Wegrand sitzend die wachsenden Fortschritte zu bestaunen. In meinem Vorgarten ist Wuchern und wildes Grünen, Summen, Brummen und Farbenrauschen. Der kleine Nachbarbub flitzt herum. Er ist ein Nackedei. Ein wenig neidisch bin ich schon. Ich würde mir auch gerne die Sonne auf die nackige Haut scheinen lassen. Er beugt sich mit seinem Gesicht tief in das Polster mit der aufgehenden Katzenminze hinein. Nur noch der Popsch ist zu sehen. Gerne möchte ich die Pracht dieses Sonnentages, so wie er, mit allen Sinnen aufnehmen, Gerüche trinken und Sonnenstrahlen essen, den Farben lauschen und mich von den fliegenden Insekten berauschen lassen.
Mittwoch, 30. April
„Wann hast du Zeit für unser Zoomtreffen?“, fragt mich Kerstin, meine Berliner Freundin. Seit mehr als drei Jahren treffen wir einander wöchentlich für eine knappe Stunde Austausch. Diesmal fällt es mir schwerer als sonst, mir ein Zeitfenster zu reservieren. Die Organisation der Lebensnotwendigkeiten ist überraschend aufwändig. Ich bin mit meinen Alltagsverrichtungen hoch-beschäftigt. Zum Beispiel das Abenteuer einer einbeinigen Kaffeezubereitung mit meinem lädierten Bein, das schon nach 20 Sekunden im Stehen heftig zu schmerzen beginnt. Jede kleine Verrichtung ist unglaublich aufwändig und ich bin dankbar für die täglichen kleinen (und großen) Hilfestellungen meiner Nachbarinnen. Und für gute Ideen –. Seit gestern steht in meiner Küche ein neues Arbeitsgerät; der Bürostuhl mit den Rollen. Und hinten im Garten gibt es einen Liegestuhl, von dem ich aufstehen kann, ohne den Gipsfuß abzustützen. Die Sohle des Gipses beginnt sich langsam aufzulösen. Gestern bin ich mit den Krücken gestolpert und habe, mit den Zehen vorn am Gips, einen Maulwurfshügel geküsst. Zum Glück kein Sturz. Zwei Tage müssen der Gips und ich noch durchhalten. Dann bekomme ich eine Orthese.

Donnerstag, 1. Mai
In dieser Woche habe ich mir viel Zeit zum Lesen genommen. Ich bin dankbar für die Fülle von guten Büchern um mich herum. Gary Ferguson ist ein Meister des spannenden Erzählens. In seinem Buch: „Die acht großen Lehren der Natur“, bringt er Wesentliches auf den Punkt. Er schildert darin, anhand von zahllosen Beispielen, wie alles mit allem verbunden ist –. Und er lässt seine Leser*innen auf anschauliche Weise spüren, dass unterstützendes Miteinander ist eines der Hauptkriterien gelingenden Lebens ist.
Freitag, 2. Mai
Dass ich mich vor eineinhalb Jahren fürs Schreiben als meine Haupttätigkeit entschieden habe, entpuppt sich als weiser Schritt. Gerade jetzt, wo ich voraussichtlich für Wochen bewegungseingeschränkt sein werde, (am 30. Mai werde ich ein neues Kniegelenk bekommen) kann ich ohne Probleme weiter arbeiten. Das gibt den langen Tagen im Bett Struktur. Mein Bewegungsradius ist zwar klein, doch in meinen Gedanken fliege ich durch die Zeiten und Orte meiner Kindheit.
Samstag, 3. Mai
Tagsüber bleiben die Türen vorne und hinten offen. Klopfen, rufen und eintreten, Einkäufe mitbringen, ein Mittagessen oder einfach den frischen Wind von draußen an mein Bett wehen lassen. Plaudern erzählen. Gemeinsam auf der Terrasse sitzen und in die blitzend-grüne Landschaft staunen. Kleine Handgriffe, das gewaschene Geschirr aus dem Spüler räumen, Pflanzen gießen, die Vögel füttern, einen Tee machen. Ich bin mit den besten Nachbarn gesegnet.
Liebe Romy,
du machst das großartig, und schreibst in der „unbeweglichen“ Zeit, ganz sicher sehr bewegende Texte. Ich danke noch heute meinem Ikea Rollwagen, den ich mit Tee und Teller, Büchern und Stiften beladen mit meinen Krücken von Küche bis Wohnnzimmer schubsen konnte….
Liebe Grüße aus dem Norden
Liebe Romy,
da wünsche ich dir in allen Richtungen gute Besserung.
In mir hast du auf jeden Fall einen treuen Leser gefunden.
Es freut mich jedes Mal sehr, deine positive Energie, auch wenn es traurige Nachrichten sind, in Worte gefasst zu lesen.
Liebe Grüße Birgit
Liebe Birgit, Danke für dein lesendes Begleiten durch diese Tage und die guten Wünsche.
Alles Liebe dir
Romy
Liebe Antje,
wie fein, von dir zu hören.
Wie geht es dir im hohen Norden?
Ob meine entstandenen Texte bewegend sind, kann ich nicht beurteilen.
Aber ich hoffe es…
Liebe Grüße
Romy
Liebe Romy,
ojee.. ich hatte das gar nicht mitbekommen, dass du so unglücklich gestürzt bist 😟!
Alles, alles Gute für eine baldige Genesung und wieder mehr Bewegungsfreiheit!
Wie schön, dass du so viele liebe Menschen um dich hast!
Ach wie süß die kleinen Kätzchen auf den Bildern sind… und wie präsent und nah das Kommen und Gehen, Sein und Werden gerade ist.
Berührte Grüße..
Sabine
Ja, das Kommen und Gehen, das Sein und Werden … es gibt Momente,
oft sind es die Anspruchsvollen, die Schwierigen,
da ist einem das besonders nahe.
Danke für deinen Kommentar liebe Sabine
und deine Begleitung durch hoch und tief.
Romy