Bewegt

Romys Nacht- und Tag-Buch 116

Manchmal kommt das Leben mit so einer unvermuteten Wucht, dass Worte keinen Halt mehr finden.
Diese Woche war eine solche – berührend, erschütternd. Zum ersten Mal nach 115 Wochen ruhte das Schreiben für ein paar Tage.


Ostersonntag, 20. April

Die schräg einfallende Sonne zieht die Schatten in die Länge. Unsere Silhouetten am Boden wachsen ins Riesenhafte …
Den Apfelbaum neben mir beeindruckt das wenig. Seine Konzentration richtet sich nach oben. Sein Blühen geht himmelwärts, richtet sich nach der Sonne.

Montag, 21. April bis Donnerstag, 24. April

Ostermontag Vormittag. Auf meinem Handy sehe ich, dass ich einen Anruf meiner Schwester aus Japan verpasst habe. Ich setze mich auf die Couch und rufe zurück. „Du bist doch jetzt in der Steiermark“, sagt sie als Erstes. „Ja, ich sitze neben den frischgeborenen Kätzchen“, antworte ich.


… „und ich sitze gerade neben meinem toten Mann“, sagt sie.

Ein Moment lang ist Stille zwischen uns.

Die Nachricht kommt nicht unerwartet. Der Mann meiner Schwester war schwer krank.


Dann erzählt sie mir von seinen letzten Tagen, der letzten Nacht.
Hinter meinen Augen stauen sich die Tränen. Ich schlucke und höre ihr zu, bin bewegt und dankbar für das Teilen dieser Momente.

Nach dem Gespräch gehe ich in den Garten, denke an den verstorbenen Schwager, sein Leben und Sterben. Ich finde hellrote Zierquitten, am Ende des Blühens. Manche Blüten lassen bei der Berührung sofort die Blätter fallen. Am Blütenboden zeigt sich schon ein kleiner Fruchtansatz. Mit ihnen beginne ich einen Kranz zu gestalten. Dazu kommen weiß-zarte, fein gezeichnete Hornveilchen und frisch aufgeblühte Vergissmeinnicht.

Der Kranz wächst aus dem Innersten heraus. Farbenfroh wie das Leben, das kommt und geht ohne Unterlass. Kein Anfang und kein Ende. Wie ein ewiges Jetzt.
Vom fertigen Kranz mache ich ein Foto und schicke es meiner Schwester.

Alles in mir ist aufgewühlt und ich habe das Bedürfnis mich zu bewegen, in die Landschaft zu marschieren, der Unruhe Raum zu geben. Ich nehme den Hund mit und entscheide mich, oben beim Bauern frische Milch zu holen. Zuerst gehe ich bis hinauf bis ans Ende der Straße und schaue hinüber zu den Bergen. Beim Zurückgehen sehe ich die Tochter vom Milchbauern. Sie fährt mit dem Auto in den Hof hinein. Ich winke ihr.

Ein kurzes Abgelenkt-sein und im nächsten Moment schlage ich hart auf dem Boden auf. Mein Knöchel ist am Straßenrand abgeknickt und ich bin aufs Gesicht gefallen, habe mir Knie und Arme aufgeschürft, Blut im Gesicht und den Mund voller Kies. Ich bleibe für einen Moment liegen und bete, dass nichts gebrochen ist. Dann stehe ich vorsichtig auf und wanke langsam zurück. Vorher habe ich mir noch eine Flasche Milch aus der Hütte geholt. Der Hund trottet neben mir her.

Ein innerliches Schluchzen, keine Tränen. Wie eine uralte Trauer, die sich in mir eingebunkert hat und nicht hinaus will. Ein geschockter Körper, alles schmerzt, wirres Denken im schummrigen Kopf.

Zwei Tage später beim Röntgen auf der Unfallambulanz stellt sich heraus, dass das Sprunggelenk doch gebrochen ist. Ich bekomme einen Spaltgips. Wieder zu Hause realisiere ich, dass ich, mit meinem lädierten Knie, große Schwierigkeiten habe, mit den Krücken zu gehen und dass ich kaum in der Lage bin, mich selbst zu versorgen. Allein schon der Gang zur Toilette wird zum Kraftakt. Es fällt mir schwer, um Hilfe zu bitten. Von anderen Menschen abhängig zu sein.

Freitag, 25. April

Mittags bekomme ich ein warmes Essen von Essen auf Rädern. Zwei Nachbarinnen bringen mir nachträglich je ein Oster-Sackerl. Eine andere überrascht mich mit einem frischen Fruchtsalat am Abend. Eine kauft mir ein, versorgt meine Hühner. Die Physiotherapeutin von schräg gegenüber kommt vorbei und zeigt mir, wie ich mit meinem beeinträchtigten Knie die Treppe vorn und hinten bewältigen kann. Auch ihre Tochter bietet Hilfe an. Sogar die Fenster würde sie mir putzen, hat sie gesagt.

Samstag, 26. April

Meine Freundin Theresia aus der Steiermark verbringt das Wochenende bei mir. Sie besucht in Wien einen Kurs. Dazwischen hilft sie mir und erledigt die nötigen Arbeiten. Ich bin überwältigt und dankbar für die große Hilfsbereitschaft rund um mich herum.



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4 Kommentare

  1. Wirklich eine ereignisreiche Woche! Vieles passt jetzt zu Ostern, dem Fest des Todes, der Auferstehung und des neuen Lebens, wie jenes der lieben Kätzchen.
    Viel Segen für die Zeit der Trauer und der Freude und alles Gute für die hoffentlich kurze Unterbrechung des Wohlbefindens, wie nach diesem Unfall, nach dem das Leben auch wieder „irgendwie neu“ beginnen wird!
    Herzliche Grüße und noch eine gesegnete österliche Zeit!

  2. Liebe Romy, gute Besserung!
    Mir scheint, Du hast viele liebe Menschen um dich herum.
    Was du gibst, bekommst du zurück.
    Kopf hoch und alles Liebe und Gute für dich!
    Dicke Umärmelung gabriele

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