Erlebnisse in Gold, Türkis und Blumen-Bunt

Romys Nacht- und Tag-Buch 101

Zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit liegt oft nur ein Hauch. Manchmal vermischen sie sich so sehr, als ob es keine Zeit gäbe. Meine Erinnerungen sind goldgefärbt und blumenbunt. Die schönste aller Entdeckungen leuchtete mir in einem überirdischen Türkis entgegen.



Sonntag, 5. Januar

Abends habe ich manchmal Lust, mir einen Film anzuschauen. Ohne Interesse an Mord- und Totschlag lande ich vorwiegend bei den Liebesfilmen. Hier sind die Dramen nach meist nach innen verlegt. Ein ewiges Thema, das schon ein wenig Rost angesetzt hat. Das Eigentliche oft verschüttet unter einem zugemüllten Berg von Vorstellungen und Klischees. Wie können wir neue Beziehungs- und Begegnungsformen entwickeln? Wie kann ich mich selbst von diesen eingefahrenen Mann-Frau-Bildern befreien?

Montag, 6. Januar

Es braucht ein wenig Überwindung an diesem eisig kalten Tag das kuschelwarme Häuschen zu verlassen für einen Spaziergang unter dem ewig grauen Himmel. In dieser farbarmen Umgebung sehe ich unten am Bach ganz plötzlich leuchtendes Türkis aufblitzen. Die flatternde Bewegung täuscht und im ersten Bruchteil einer Sekunde glaube ich einen riesigen Schmetterling zu sehen. Falscher Ort und falsche Zeit denke ich und dann erinnere ich mich. Schon oft habe ich von ihm gehört und lange hat es gedauert bis zu dieser ersten Begegnung. Er bleibt auf einem Ast sitzen und ich kann ihn in Ruhe betrachten. Im Moment als ich mein Handy zücke, bellt ein Hund auf der Brücke und ich erwische nur noch eine verschwommene blaue Bewegung. Zu Hause hole ich mir auf Pixabay ein größeres Bild und endlich kann ich ihn in seiner vollen Schönheit genießen – den Eisvogel.

Dienstag, 7. Januar

In unserer WhatsApp Familiengruppe entdecke ich ein Bild mit meiner jüngsten Enkelin. Strahlend, stolz, keck und frech schaut sie in die Kamera. Auf dem Kopf die papierene Goldkrone und in der Hand als Beweisstück der kleine Plastikkönig … Jedes Jahr buk meine Mutter einen Dreikönigskuchen. Am fünften Januar zog ein verheißungsvoller Duft durchs Haus. Später, wenn der Dreikönigskuchen zum Abkühlen auf einem Gitter in der Küche stand, strichen meine Schwester und ich möglichst unauffällig um den Kuchen herum in der Hoffnung von außen einen Hinweis darauf zu erhaschen, in welchem der kleinen runden Stücke der kleine Plastikkönig versteckt sein könnte. Dann beim Frühstücken am nächsten Morgen war es so weit. Die Spannung stieg, das Glück oder die Enttäuschung war nur noch einen Bissen weit entfernt. Bald jubelte es. Wer darf diesmal regieren und sich die goldene Krone aufsetzen, Königin oder König sein, für einen Tag?

Mittwoch, 8. Januar

Vaters Geburtstag. Vor einem Jahr war es sein fünfundneunzigster. Die ganze Familie hatte sich versammelt für ein gemeinsames Fest. Heute wird es wohl ein wenig ruhiger zugehen. Ich werde anrufen und hoffe, dass ich ihn erreiche, in seinem schönen Zimmer mit den selbst gezimmerten Möbelstücken und der Pendeluhr. Vieles davon hat er nach seiner Pension realisiert. Intarsien mit verschiedensten Holzarten in verschlungenen geometrischen Mustern zieren die Oberflächen. Von seinem Fenster aus sieht er den Talboden bis hinunter zum Vierwaldstättersee und hinauf auf die am Horizont verschwindenden Bergketten. Direkt unterhalb vom Altersheim steht der Bauernhof, wo er seine Kindheit verbracht hat.

Donnerstag, 9. Januar

Bei meiner Nachmittagsrunde komme ich an einem meiner Lieblingsplätze vorbei. Unter der Föhre bleibe ich stehen und lausche. Als Erstes merke ich es am Vogelgesang. Er verändert sich, klingt aufgeregter, erwartungsvoll. Im Sonnenschein öffnet sich die Landschaft. Das Licht gewinnt an Intensität und Tiefe. Eine zarte Stimmung liegt in der Luft. Alles ändert sich – zuverlässig, jedes Jahr.
Anfang Januar spüre ich, dass sich die Richtung verändert hat. Ich spüre das Helle und den wiederkehrenden Frühling. Er macht sich bereit. Schon jetzt.

Freitag, 10. Januar

Endlich wage ich mich an die Kisten im Flur, die darauf warten, geräumt und sortiert zu werden. Zeichnungen, Fotos und alte Briefe tauchen auf. Ein selbstgenähter Rock mit einem bunten Blumenmuster. Vor Jahren hatte ich ihn genäht, als mögliche Antwort auf die Frage, wie ich mich anziehen würde, wenn ich bei der Geburt als Mädchen mit Freuden willkommen geheißen worden wäre. Bald ist er dann in einer der Kisten verschwunden und vergessen worden. Ich hatte mich fremd gefühlt damit. Gestern zog ich ihn an, kombinierte ihn mit den verschiedensten Oberteilen, posierte vor dem Spiegel, lächelte mir zu und staunte wie gut er jetzt zu mir passt. Kann es sein, dass ich mich doch ein wenig verändert habe in den letzten Jahren?

Samstag, 11. Januar

In dieser Woche habe ich nicht nur geräumt und Schätze entdeckt. Ich bin auch für Stunden ins Schreiben, Lesen und Recherchieren abgetaucht. Heute treffen wir uns wieder Online im Memoir-Schreib-Kurs. Meine Schreibkolleginnen und ich werden uns unter fachkundiger Führung mit dem Thema, der dahinterliegenden Fragen, der Story Question und der Struktur unseres Schreibprojektes befassen.
In meinem Schreiben geht es um Rosa, die mit der Hilfe der Natur ihre Gefühle des fremd Seins überwindet und zu einer neuen Verbindung mit Menschen auf einer tieferen Ebene findet.

8 Kommentare

  1. Die bunten Farbtupfer in Gestalt des Eisvogels und deines schönen Blumenrockes stehen dir gut, liebe Romy. Danke fürs Teilen & liebe Grüße,

    Manu

  2. Liebe Romy, das schöne Bild des Eisvogels lässt mich aufhorchen. Habe ich schon in der Schweiz vergebens versucht, diesen wunderschönen Vogel auf ein Foto zu bannen.
    Deine Wohnortbeschreibung deines Vaters berührt mich sehr. Ich kann es mir sehr gut vorstellen und freue mich, dass er und ihr es so gut getroffen habt. Er wäre genau das Richtige für meinen Geschmack.
    Ein wundervolles Jahr für dich!

  3. Ich bin (wieder mal;-) )sehr berührt von deinen Zeilen.
    Ja, wie wundervoll so eine Eisvogel-Begegnung ist.. so zauberhaft!
    .. So wie das Licht, das sich schon verändert.., dein Blumenmusterrock, deines Vaters hohes Alter und der Blick auf seinen Hof..
    Danke fürs Mitnehmen 🤲🏼!
    Liebe Grüße
    Sabine

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