Romys Nacht- und Tag-Buch 97
Neutrales Grau ist ein idealer Hintergrund, um das Eigentliche der Farben zu spüren. Irgendwo in mir sitzt eine verschwommene Erinnerung, an unseren Zeichenlehrer in der Berufsschule, der uns das, auf wohl unvergessliche Weise nahelegte.
Sonntag, 8. Dezember
Nach dem langen Sitzen beim Online-Schreibseminar muss ich dringend hinaus an die frische Luft. Bewegen und atmen. Eine neue Szene formt sich in meinem Kopf. Eine Idee nach der anderen tauchen sie auf und drohen gleich wieder zu verschwinden. Wie kann ich sie festhalten? Ich setze mich auf eine Bank und spreche die angesammelten Ideen in mein Smartphone hinein. Dieses kluge Gerät schreibt alles für mich auf. Im Weitergehen hört es nicht auf. Ich diktiere weiter. Der graue Dezember-Nachmittag rings um mich gewinnt an Farbe. In meinem Innern tobt sich ein buntes Leben aus.
Montag, 9. Dezember
Bevor ich mit meinem Rad übers Land fahre, hänge ich meine roten Taschen an den Gepäckträger und packe ein wenig Kleingeld ein. Ich liebe es am Wegrand Selbstproduziertes einzukaufen. Immer wieder wartet Überraschendes auf mich. Diesmal sind es frisch geschnittene Kirschzweige mit knospigen Ansätzen. Wie lange ist es schon her, dass ich Barbarazweige zum Blühen gebracht habe? Ich erinnere mich an irgendetwas Orakel ähnliches. Etwas, das in Erfüllung geht, wenn sie zu Weihnachten blühen. Dann bin ich vielleicht in Berlin und verpasse das Wunder, denke ich. Also stelle ich die Zweige ins wohl geheizte Wohnzimmer, damit sie schneller ins Blühen kommen.
Dienstag, 10. Dezember
Jetzt ist es fix. Am 23. Dezember fahre ich mit dem Zug über Tschechien nach Berlin. Ich werde bei Kerstin und Nadia am Prenzlauerberg die Weihnachtstage verbringen. Meine Kinder und Kindeskinder feiern heuer in Zürich beim Vater und Großvater.
Weihnacht in Berlin! Jiiipppeeee! Wenn ich in der dortigen Sprache mehr zu Hause wäre, würde ich jetzt sagen, ich freue mich wie Bolle. Zwar weiß ich nicht genau, was das bedeutet, spüre aber, dass es der Ausdruck höchster Freude ist. Auf dem Heimweg werde ich direkt bis nach Graz durchfahren. Silvester und Neujahr in der Steiermark … Was für ein schönes Leben.
Mittwoch, 11. Dezember
Um neun Uhr im Schopi. Draußen auf der Straße noch, sehe ich einer schwarzen, schlanken Gestalt beim Hineinhuschen ins Kaffeehaus zu. Ist das die Dritte unserer Tridem-Schreibgruppe? Sie wollte eigentlich erst Mittags zu uns stoßen. Beim Hineingehen sehe ich sie schon hinten an unserem Tisch stehen. Die Freude darüber, dass wir gleich zu dritt loslegen können, steht mir wohl deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Kellner, der mir entgegenkommt, strahlt mich an, als wenn die Sonne persönlich zur Tür hineingekommen wäre.
Donnerstag, 12. Dezember
Mitten im grauen Nachmittag gehe ich zu Fuß nach Wolkersdorf. Ich brauche ein paar frische Lebensmittel. Beim Zurückgehen staune ich, wie finster es schon ist. Halb vier und es dunkelt schon. Aber irgendwie ist es an diesem Tag überhaupt nie so richtig hell geworden. Ich stelle mir vor, wie es sein würde, an einem Ort zu wohnen, an dem das monatelang so wäre. Hätte ich dann noch die Energie, mir aus meinem Innern eine bunte Welt zu zaubern?
Freitag, 13. Dezember
Müde, aber gut gelaunt sitze ich nach dem Training im Zug. Mit dem Rücken in Fahrtrichtung döse ich ein wenig vor mich hin. Plötzlich ein heller Schimmer. Augen auf und in die Landschaft schauen. Eine riesig orange Sonne am Horizont lässt mich eilig im Rucksack nach meinem Smartphone kramen. Bis ich es endlich geschafft habe, ist sie schon wesentlich kleiner geworden. Schnell ein Foto machen, um diesen warm-bunten Dezembermoment für immer festzuhalten.
Samstag, 14. Dezember
Die Uli hat mich zum Essen in ihre Wohnung in Kaisermühlen eingeladen. Ich stehe auf dem Perron und warte auf den nächsten Zug. Den Baum vis a vis vom Bahnhof habe ich schon öfters betrachtet. Er ist zu allen Jahreszeiten eine prachtvolle Erscheinung. An diesem grauverhangenen Dezembertag kann ich seine Kraft und Ausdauer besonders gut wahrnehmen. Rings um ihn Trostlosigkeit und er steht da wie ein König. Er streckt sich hoch und überragt alles in seiner Umgebung. Ich stelle mir vor, wie seine Wurzeln unter dem Asphalt ein eigenes Reich bilden, das noch einmal so groß ist, wie seine Krone.
Liebe Romy,
der Ausdruck „sich wie Bolle freuen“ kommt von dem Berliner Volkslied „Bolle reiste jüngst zu Pfingsten, nach Pankow war sein Ziel …“ Da erlebt er so einiges. Es gibt auch den Ausdruck „Stolz wie Bolle sein“, der ebenfalls von diesem Lied herrührt. Hör es dir mal zur Einstimmung auf Berlin an. Die Orte, die dort besungen werden, sind hier gleich ums Eck.
Wir freuen uns schon riesig und „wie Bolle“, dass du Weihnachten mit uns in Berlin verbringen wirst!! Das wird toll!
Hab ein schönes Wochenende
Deine Kerstin
ich freue mich „wie Bolle“ mit euch! ich kann mir euren Austausch und euch zusammen lebhaft vorstellen! (auch wenn wir uns bisher „nur“ virtuell kennen …) Viel Freude euch! und Spaß und, und, und! 🥰
Schöne Tage auch dir liebe Angela.
Wir sehen uns im Januar.
Ich freue mich darauf.
Eigentlich habe ich mir unter Bolle immer so was Ähnliches wie eine Zwiebel vorgestellt …
(Da wo ich herkomme heißen die Zwiebeln Bölä)
Nie wär ich drauf gekommen, dass das ein Mensch,
ein Mann mit einem abgründigen Galgenhumor sein könnte.