Stärke und Elastizität

Spinnennetz

Romys Nacht- und Tag-Buch 36

Der Herbst macht meine Tage ruhiger. Ich liege im Bett und beobachte den Nebel vor dem Fenster. Ein Spinnennetz bringt mich ins Staunen und ins Nachdenken über Stärke und Elastizität.

Sonntag, 8. Oktober

Unglaublich, wie ihre Stimme den Raum füllt. Angelas Stimme schwingt und entführt mich in ihre Traumwelt. Pippo zaubert mit der Gitarre und am Flügel. Wir erleben die Welturaufführung seiner neuen Komposition. Ich folge ihm gebannt, Ton für Ton. Was für ein Abend … und was für ein Konzert! Angela Tröndle und Pippo Corvino spielen im Schloss Wolkersdorf. Mit der Musik kommt die Leichtigkeit zurück. Ich bin froh, dass ich mich trotz Müdigkeit auf den Weg gemacht habe. Ich erinnere mich an das Streichquartett Nr. 1 „Geschenke der Nacht“ komponiert von Angela, das vor genau zwei Jahren im Muth aufgeführt wurde. Dort projizierte sie einige ihrer Cyanotypien an die Wand.
Gerne erinnere ich mich an ihre ersten Schritte mit dieser Technik in meinem Online Cyanotypie Kurs, an ihre Begeisterung und inspirierenden Experimente. Unterdessen gibt sie schon selbst Kurse und verkauft ihre wunderschönen zart gestalteten Cyanotypien.

Montag, 9. Oktober

Die Begegnungen und Geschichten der Nacht. Aus meinen Träumen lassen sich meistens nur feine Ahnungen, in den Tag hinüberretten. Heute Nacht wurde viel geredet und diskutiert. Daran erinnere ich mich noch.
Aus der Kellerwerkstatt höre ich den Entfeuchter. Eigentlich würde ich dort gerne die Wände neu kalken. An ein paar Stellen beginnt es wieder sandig zu rieseln. Ich überlege, wer mir dabei helfen könnte. Hilfe würde die Sache erleichtern. Gestern war meine mittlere Enkelin hier und hat die Fenster geputzt. Erst war sie nicht so begeistert, „nö Omama, …. was Fenster putzen“? Dann hat sie sich aber mit Schwung und Enthusiasmus an die Arbeit gemacht. Ihre frische Energie hat mir den Tag versüßt und ich genieße den klaren Blick aus dem Fenster.

Dienstag, 10. Oktober

Was ist nur mit diesen Dienstagen los? Vor einer Woche genau dasselbe … rinnende Nase und ein wattiger Kopf. Gegen den bellenden Husten habe ich mir gerade ein altes Hausmittel angesetzt: Fein geschnittene Zwiebeln mit Honig. Der daraus entstehende Saft hat in unserer Familie Tradition. Er hat schon öfters böse Hustenattacken gemildert.
Komisch, ich war schon ewig lange nicht mehr verkühlt oder grippig. Das letzte Mal liegt weit vor der Pandemie. Auch bin ich bisher von Corona verschont geblieben.

Mittwoch, 11. Oktober

Gestern hat mir der Nachbar einen COVID-Test vorbeigebracht … Positiv … Jetzt hat es mich zum erstem Mal erwischt. Im Bett liegen und vor mich hindämmern. Draußen ist es neblig trüb. Ab und zu höre ich Radio. Lesen mag ich nicht. Das ist mir zu anstrengend. Auch habe ich überhaupt keinen Appetit. Gestern habe ich nichts gegessen. Es ist so wie, wenn alles so voll wäre, dass nichts Neues und anderes mehr Platz hätte. Beim Radiohören bringe ich die Worte seltsam durcheinander. So entsteht etwas Neues, das ich irgendwie verstehe und irgendwie auch nicht.

Orchideenfenster
Blick vom Bett aus dem (frisch geputzten) Fester

Donnerstag, 12. Oktober

Gegen den Abend kommt der Appetit zurück und ich bekomme Lust mir einen Film anzuschauen. Ich schaue mir auf Netflix die Serie „Unorthodox“ an. Die jiddische Sprache mutet mich seltsam anheimelnd und altertümlich und an. Vieles davon kann ich verstehen. Einige Wörter sind dem Schweizerdeutschen verblüffend ähnlich. Der Film spielt in New York, im ultraorthodoxen Wiiliamsburg und in Berlin. Es geht um eine junge Frau, die sich aus diesem für sie einengenden Umfeld befreit und ihre Ankunft in einer absolut gegensätzlichen Welt. Eine spannende Geschichte und ich genieße es, ihr zu folgen.

Freitag, 13. Oktober

Beim Öffnen der Terrassentür fürs morgendliche Lüften lasse ich meine Augen kurz durch den Garten schweifen. Sie bleiben an einem wunderbaren kleinen Kunstwerk hängen. Ich ziehe eine Jacke über und schaue mir das aus der Nähe an. In der nebelig feuchten Luft haben sich auf dem Spinnennetz feine Tröpfchen gebildet. Auf diese Weise leuchtet es vor dem dunklen Hintergrund. Ich versuche zu recherchieren, welche Spinne das Netz gebaut hat. Dabei stoße ich auf eine Notiz, die mich zum Staunen bringt. Spinnenseide ist dehnbarer als Nylon und gleichzeitig stärker als Stahl. Es ist die Dehnbarkeit, welche diese unglaubliche Stärke bewirkt. Seile aus Spinnenseide wären elastisch und könnten schwerere Lasten tragen als Stahlseile. Zart, filigran und trotzdem unglaublich stark.

Spinnennetz
Ein imposantes Spinnennetz in meinem Garten

Samstag, 14. Oktober

Heute Morgen erinnert nur noch ein einzelner Faden daran, wo das Spinnennetz war. Unglücklicherweise hat sich die Spinne ihr Netz genau in die Flugbahn der Spatzen und Meisen zwischen dem Forsythien-Strauch und dem Futterhaus gebaut. Ein Spinnenfaden ist 20x dünner als ein menschliches Haar. Davon lässt sich ein Vogel nicht aufhalten. Stärke ist relativ. Ich erinnere mich an das Gefühl, mit der Hand durch ein Spinnennetz zu fahren. Wie sich die Fäden dehnen, dehnen und dann irgendwann reißen. Ich weiß allerdings nicht, ob es wirklich die Vögel waren, die das Netz zerstört haben. Es ist nur eine Vermutung.
Mein Kopf ist wieder schmerzfrei und ich fühle mich täglich stärker. Es geht mir schon wieder erstaunlich gut. Wer weiß? Vielleicht hat mich das Nachsinnen über die Spinnen mit ihren unglaublichen Fähigkeiten heilsam unterstützt.

8 Kommentare

  1. Oh weh, dich hat Covid erwischt? Gut, dass es dir schon wieder besser geht. Ich habe gleich mal in Angelas Musik reingehört. Wirklich sehr schön. Das imposante Spinnennetz hast du toll fotografiert.
    Ich wünsche dir weiterhin gute Genesung!
    Alles Liebe
    Kerstin

  2. Gute und vollständige Heilung Romy, das wünsche ich dir von Herzen! Die Spinnen und ihre Fäden und Netze sind was Wunderbares, fragil und belastbar zugleich. Da passt so viel aus ihrer Welt zum Weiblichen, das ist eine ganz eigene Geschichte… ich drück dich virtuell, Lisa

    1. Ja, da hast du recht, liebe Lisa, über Spinnen und ihre Fäden ließe sich noch vieles sagen. Die Bilder sind in meinem Kopf präsent und spinnen sich weiter und weiter. Auch dir alles Liebe und auf bald.

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