Romys Nacht- und Tag-Buch 98
Überraschungen sind beim Räumen das Zuckerl für die oft mühselige Arbeit. Vergessenes, manchmal lang vermisstes, taucht aus verborgenen Winkeln auf. Das alte Jahr endet mit Räumen, im Neuen wird dann eingerichtet.
Sonntag, 15. Dezember
In der Früh bereite ich die Sachen fürs gemeinsame Essen vor, packe sie in meine Radtaschen und mache mich auf den Weg. Dieses Wochenende helfe ich Tochter und Enkelinnen beim Vorbereiten für ihren Umzug nach Wien. Sortieren und Einpacken. Was geht mit und was geht weg? Was braucht es wirklich? Die Wohnung in Wien wird ziemlich viel kleiner sein. Entscheidungsfreude ist gefragt. Dann ein letztes Mal in diesem Haus gemeinsam Mittagessen. Am Adventskranz haben wir alle vier Kerzen angezündet. In einer Woche werden meine Lieben schon unterwegs in die Schweiz sein. Ich bin froh über unser Zusammensein in diesen besonderen Moment.
Montag, 16. Dezember
Eine unruhige Nacht. Am Dach scheppert es und ich wache öfters auf. Im Haus meiner Tochter gibt es noch Bücher und Kunstwerke von mir. Bis Ende Januar muss alles geräumt sein. Ich bin dran, mein Häuschen umzustrukturieren. Weil ich in nächster Zeit keine weiteren Ausstellungen plane und meinen Fokus aufs Schreiben lege, möchte ich es mir wohnlicher einrichten. Bisher war es hauptsächlich Werkstatt und Ausstellungsort. Jetzt wird es privater. Ich überlege und schmiede Pläne. Draußen ist es noch dunkel und die Wolken schieben sich am nicht mehr ganz vollen Mond vorbei.
Dienstag, 17. Dezember
Lange her, weit weg und trotzdem nah. Beim Räumen tauchen immer wieder Momente aus der Vergangenheit auf, längst vergessenes und wohl erinnertes geben sich ein Stelldichein. Gestern beim Bücher sortieren bin ich auf einen Schatz gestoßen. Ein Ordner und Hefte mit alten Texten. In meinem ersten Jahr in Österreich vor bald dreißig Jahren habe ich viel geschrieben. Damals sind die ersten Rosa Texte entstanden. Jetzt schreibe ich weiter an dieser Geschichte. Es ist erstaunlich, wie nahtlos sich das damalige Schreiben ins Jetzige einfügt. Und trotzdem ist da auch ein ganz frischer und anderer Ton.
Mittwoch, 18. Dezember
Seit kurzem gibt es in meinem Schlafzimmer eine Bücherwand. Dort stehen alle Bücher, die für mich im Moment wichtig und nötig sind. Gestern habe ich kistenweise alte Bücherschätze aussortiert. Jedes von ihnen hat mich über eine Zeit begleitet, mich inspiriert und mir neue Gedankenwelten eröffnet. Jetzt schicke ich sie weiter. Ich wünsche mir, dass sie neue begeisterte LeserInnen finden werden. Wenn ich an all die Bücher denke, die ich gelesen und dann weiter gegeben habe -ich denke, mein Häuschen wäre wohl gefüllt, an allen Wänden nur Bücher, doppelt und dreifach geschichtet …
Donnerstag, 19. Dezember
Zwei Autos, zwei MithelferInnen, eine Rodel und ich. In zwei Stunden ist es geschafft. Meine Siebensachen sind wieder an einem Ort vereint. Künstlerische Arbeiten aus meinem damaligen Wiener Atelier. Gut verpackt und über Jahre gelagert. Erst waren sie ein paar Jahre illegalerweise in einem Wiener Keller, anschließend ganz offiziell in einem gemieteten Lagerraum, dann im Haus bei meiner Tochter. Eine Ginkgo-Sonne, ein riesiges Lichtobjekt mit Lunaria. Wilde Bilder in Rot und in Blau, die noch in der Schweiz entstanden sind. Ein paar Sachen werde ich neu an meinen Wänden platzieren. Ich freue mich aufs Auspacken und Wiederentdecken.
Freitag, 20. Dezember
Nach dem vielen Räumen gönne ich mir einen Schreibvormittag in Wien. Das writers studio thront mit seinen Türmen wie ein Schloss über dem Wienfluss. Wir sind zu dritt vor Ort und zehn weitere Mitschreiberinnen sind online dabei. Austauschen und schreiben. Wo brennt es gerade? Wofür brenne ich? Mit diesem Impuls komme ich gut ins Überarbeiten meiner ersten Szene hinein. Dort geht es um Unerwünschtes in der Pflanzenwelt, um Pflanzen, die als Sündenböcke für menschengemachte Missstände herhalten müssen.
Samstag, 21. Dezember
Just an diesen Vorweihnachtstagen erblüht eine Tigerin in meinem Fenster. Obwohl die Trägerpflanze ursprünglich im Urwald zu Hause ist, hat sie wohl keine weite Reise hinter sich. Ich schätze, sie hat in einem holländischen Gewächshaus das Licht der Welt erblickt. Vorwitzig streckt sie ihre Knospen dem grauen Dezemberhimmel entgegen. Sie fühlen sich wohl an diesem Ort. Eine zweite Blüte beginnt sich zu entfalten. Die Lichtverhältnisse erinnern sie an den Urwald. An das dämmrige Licht unter dem dichten Blätterdach, das kaum einen Sonnenstrahl durchlässt.