Herbstblues

Cyanotypie mit windverwehten Kräutern

Romys Nacht- und Tag-Buch 34

Es wird wohl Zeit, sich endgültig vom Sommer zu verabschieden. Eine Wiederbegegnung mit dem Nebel, feuchtkühle Nächte und manchmal eine lähmende Müdigkeit machen mir klar, dass jetzt andere Qualitäten warten.

Sonntag, 24. September

In mir wächst der Wunsch, schreibend neue Gebiete zu erforschen. Gestern war die Gelegenheit, in verschiedene Kurse vom writers’studio in Wien hineinzuschnuppern. Ich war online dabei … Kurzgeschichte, Essay, Memoir und biografisches Schreiben. Die Vortragenden erklären kurz und pointiert. Dann gibt es gleich die Möglichkeit, das Erfahrene schreibend zu erkunden. Wir bekommen interessante Impulse. Anschließend gibt es einen kurzen Austausch und wer gerade mag, liest vor. Unglaublich, was in diesen Kurzen Einheiten von jeweils 45 Minuten alles Platz hat. So sind bei mir gestern vier kurze Texte entstanden, die mir Lust machen auf diesem Gebiet weiter zu forschen und neue Erfahrungen zu machen.

Beschriebene Blätter

Montag, 25. September

Tagsüber plagt mich eine lähmende Müdigkeit. Ob das wohl der Herbstblues ist? Ich kann mich zu nichts aufraffen. Am Nachmittag kommt meine Enkelin vorbei und wir räumen die Regale im Vorraum, putzen und sortieren alles neu ein. Für mich hat das Aufstehen, bevor sie gekommen ist, einen großen innerlichen Schubs erfordert. Sie erzählt mir, dass auch bei ihr in den letzten Tagen die Stimmung eher down war. Auch für sie war es nicht einfach sich aufzuraffen: „Sei froh, dass ich dich so gern habe, Omama“, meint sie zu mir. „Sonst wäre ich heute sicher nicht gekommen“. Das gemeinsame Arbeiten tut uns beiden gut. Am Vortag habe ich mit den eingefrorenen Pfirsichen vom Vorgarten einen Kuchen gebacken. Er schmeckt uns köstlich.

Dienstag, 26. September

In diesen Tagen denke ich öfters an meine Mutter. Vor drei Jahren ist sie gestorben. Beim Kranz binden gestern war sie besonders präsent. Unterwegs mit dem Fahrrad habe ich vor einiger Zeit blaue Statizien gekauft. Meine Mutter kultivierte diese Blumen jedes Jahr in ihrem Garten. Zusammen mit Strohblumen kreierte sie kleine Trockenblumen-Gestecke. Auf diese Weise hat sie die Farben des Sommers in den Winter hinübergerettet. Für meinen Kranz verarbeite ich den Efeu aus dem Garten. Er hat schon kleine, hellgrüne Früchte gebildet. Dazu kommen die Statizien in den verschiedensten Blaunuancen. Ich liebe diese spezielle Kombination von grün und blau. Wenn der Kranz getrocknet ist, werde ich ihn an meine Haustür als Willkommensgruß hängen. In der Zwischenzeit schmückt er noch den Innenraum.

Kranz binden

Mittwoch, 27. September

Unterwegs mit dem Zug nach Wien. Der erste sanfte Herbstnebel taucht die Landschaft in ein eigenartiges Licht. Das flache, eintönige Gelände mit Windrädern und Strommasten bekommt etwas Zartes, Magisches. Ich denke darüber nach, wie unser unersättliches Bedürfnis nach Energie die Landschaft verändert. Wie wird es hier in hundert Jahren aussehen? Wird dann so ein altes Foto dieser Gegend romantische Gefühle auslösen? Je näher wir bei Wien sind, umso dichter wird der Nebel. Es wird wohl Zeit, sich endgültig vom Sommer zu verabschieden.
In den letzten zwei Nächten habe ich wieder drin im Haus geschlafen. Es ist schon deutlich feucht und kühl.

Windräder

Donnerstag, 28. September

Vorbereitungsarbeiten für die Tage der offenen Ateliers. Den Vorraum habe ich mit Allium gestaltet. Von diesen Riesenzwiebelblüten geht eine für mich beständige Faszination aus. Es ist ihr Strahlen aus der Mitte und ihre runde Form, die mich in ihren Bann ziehen. Mit getrockneten Blütenständen habe ich das frisch eingeräumte Bücherregal geschmückt. Wenn meine Augen ihnen begegnen, strahlen sie zurück. Es ist wie ein augenzwinkerndes Spiel und irgendetwas in mir beginnt zu schmunzeln. Auf den drei Bildern, die ich gestern neu aufgehängt habe, bezaubern sie mich mit ihrer tänzerischen Leichtigkeit.

Getrocknete Allium

Freitag, 29. September

Ein Online Schreib-Treff mit meinen Kolleginnen von der Lese- und Schreibgruppe. Im gemeinsamen biografischen Schreiben werde ich bestärkt. Diesmal geht es mir leicht von der Hand. Die Geschichte entrollt sich vor mir wie in einem Film. Vierte Klasse Grundschule, ich sehe mich, wie ich mich eng ans Pult presse. Das Blatt mit den Rechenaufgaben vor mir. Die strenge und für mich oft bedrückende Atmosphäre im Schulzimmer. Den langen, abenteuerlichen Weg von der Schule nachhause, auf dem ich oft in meiner eigenen Fantasiewelt unterwegs bin. Schreibend komme ich ins Spintisieren und Spielen. Das macht mir großen Spass und ich muss öfters vor mich hin lächeln. Im Moment, in dem ich die Überschrift hinschreibe, muss mein Lachen an die Luft. Es wird laut und kommt aus vollem Herzen: „Wie Winnetou mich von meiner Rechenangst erlöst hat“.

Samstag, 30. September

Meine Blogfreundin Uli Pauer ist eine begeisterte Schreiberin. Sie liebt es, spannende Storys mit interessanten Hintergründen zu entwickeln. Ihr neuer Monatsrückblick bietet ein vielfältiges Lesevergnügen. Da freut es mich ganz besonders, dass sie dort meinen Blog empfiehlt:
„Die beiden Blogserien ‚Nacht- und Tag-Bücher‚ und ‚Biografisches Schreiben‚ meiner Freundin, der Cyanotypie–Künstlerin Romy Pfyl, lesen sich poetisch, leicht und sind gleichzeitig so tiefgründig. Romy hat einen ganz besonderen und einzigartigen Stil. Schwebend und dennoch präzise wie ein Stich ins Herz. Ein Adler, der über seiner Beute kreist, um dann im richtigen Augenblick zuzuschlagen!“

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