Wofür sind Frauen über fünfzig überhaupt noch gut?

Romy Pfyl Portait

Ja, wofür sind Frauen über fünfzig überhaupt noch gut? Sobald ich diese Frage höre, setzt sich mein Gedankenkarussell in Bewegung. Meine Blogkollegin Mia Brummer hat sie gestellt. Diese Frage provoziert mich. Wahrscheinlich ist das so gewollt. Noch ein wenig mehr triggern mich ihre weiteren Fragen: Wie wird man in der Gesellschaft als Frau mit 50+ wahrgenommen? Wie darf man sein oder soll man sich verhalten?
Silke Geissen fragt in ihrer Blogaparade, ob die Zeit nach den Wechseljahren „the time of your life“ sei oder ob wir in der Endstation unsichtbar landen.
Dazu MUSS ich jetzt einfach schreiben …

Frauen über fünfzig können großartige Vorbilder sein

Schon als Kind war der Herbst meine liebste Jahreszeit. Ich liebte die bunten Farben der herbstlich verfärbten Blätter, den Geruch nach reifem Obst und den wilden Herbstwind, der alles durcheinanderwirbelte. Schon früh als Jugendliche und junge Erwachsene prägten und beeindruckten mich Frauen, die den Herbst ihres Lebens mit ihrer Kraft, Lebendigkeit, ihrer Reife, Weisheit und Lebenslust feierten. Sie wurden mir zu großen Vorbildern.

Das waren:

  • Meine Lehrmeisterin Frau Elmiger, die sechzig, chic, elegant und eine großartige Künstlerin war.
  • Frau Binder, meine Chefin, die noch mit weit über achtzig täglich von früh bis in die Nacht hinein in ihrem renommierten Blumengeschäft im Zürcher Niederdorf Prominenz aus aller Welt mit den unglaublichsten Blumenkunststücken bezauberte.
  • Frau Gauchat, meine Therapeutin, auch sie war über achtzig, lebendig interessiert und mit einer tiefen Lebensweisheit agierend.
Spinnennetz mit Wasserperlen
Wert und Schönheit sind relativ

Frauen über fünfzig sind oft unkonventionell

Ich denke, keine der drei Frauen, die mir zu Vorbildern geworden sind, hätte sich je die Frage gestellt, wie sie sein soll oder wie sie sich verhalten soll. Der Lauf des Lebens mit seinen Herausforderungen hat sie stark und unabhängig gemacht. Ältere Frauen entwickeln oft eine innerliche Freiheit, Selbstsicherheit und sie leben ihre Individualität. Meine Chefin z. B. hat alle Kunden, vom Zürcher Stadtpräsidenten, bis zu Yves Saint Laurent geduzt. Alle drei haben einen wertvollen Beitrag in die Welt gebracht und wurden von ihrer Umgebung auch entsprechend wertgeschätzt.

Mein Leben als Frau über fünfzig.

Mit fünfzig, machte ich meinen Abschluss an der pädagogischen Hochschule in Wien. Ich schrieb die Bachelorarbeit zur Freinet Pädagogik und ihrer Umsetzung an der Berufsschule. In den nächsten zehn Jahren habe ich mit Begeisterung diese Ideen an der Berufsschule für Gartenbau und Floristik realisiert. Am liebsten waren mir die botanischen Forschungsprojekte, die gestalterischen Umsetzungen der Farbenlehre und die Stilkunde Exkursionen.

Farbkreis
Farbkreis mit Christrosen in der Berufsschule für Gartenbau und Floristik

Mit sechzig richtete ich in einem kleinen Haus im Weinviertel mein Atelier ein und machte mich als Künstlerin und Mentorin für Kunst und Natur selbstständig. Ich nahm an Ausstellungen teil, führte Workshops und Onlinekurse durch und vertiefte mich in die Kunst der Cyanotypie. Im Januar dieses Jahres habe ich angefangen zu bloggen. Ich schreibe über mein Leben als Künstlerin, über die Natur, den Garten, meinen Alltag und die Kurse. Im Sommer habe ich mit Begeisterung verschiedene Techniken der künstlerischen Pflanzendarstellung ausprobiert, Hintergründe recherchiert und Anleitungen geschrieben. Mein Tun wird wahrgenommen und geschätzt.

Ausstellung in meinem Atelier

Was macht mich wertvoll?

In letzter Zeit war ich aus gesundheitlichen Gründen in meinen Aktivitäten eingeschränkt. Das hat bei mir die Frage aufgeworfen, wie es wohl wäre, wenn ich nicht mehr so viel tun könnte. Eine ähnliche Frage, wie Mia sie gestellt hat. Wofür bin ich dann noch gut? Bisher hatte ich meinen Wert sehr aus dem Tun bezogen und mich über meine Arbeit definiert. Meine drei Vorbildfrauen waren alle bis ins hohe Alter tätig. So ähnlich wie sie habe auch ich mir mein Alter vorgestellt und erträumt.
Da fällt mir meine Mutter ein. Sie verbrachte die letzte Zeit ihres Lebens durch eine Osteoporose im Rollstuhl und hatte eine Demenz.  Das Reden strengte sie an und so saßen wir oft schweigend beieinander. Aber sie war glücklich und zufrieden, viel glücklicher als ich sie in ihren jüngeren Jahren erlebt hatte. Sie war liebevoll und ich genoss unser Zusammensein sehr. Wenn die Lehrlinge im Altersheim eine Prüfung in der Pflege hatten, fragten sie gerne meine Mutter, ob sie die Prüfung mit ihr machen dürften. Alle liebten und schätzten sie und ihre Herzlichkeit. Sie ist ein großes Vorbild für mich.
Auch dann, wenn ich mehr im Sein als im Tun bin, wirke ich nach außen und kann anderen Menschen wertvolles mitgeben. Im Laufe des Schreibens wird mir immer klarer, dass die Frage, wozu ich gut bin, zwar provokativ, aber wichtig und sinnvoll ist. Es ist keine einfache Frage. Ich komme ins Nachdenken und das Fragen wird mich sicher noch eine Weile begleiten.

Jetzt bin ich 63 Jahre alt. Je älter ich werde, um so mehr bin ich mir bewusst, dass ich mit meinem Sein und Tun Spuren hinterlasse. Auch ich möchte für die, die nach mir kommen, für meine Kinder und Enkelinnen ein Vorbild sein. Das ist eine große Verantwortung. Egal ob tätig oder nicht, mein Sein wirkt nach außen.

Granatäpfel
Bald beginnt die ErntezeitGranatäpfel in meinem Vorgarten

Es geht darum, unsere Sicht zu ändern

Die landläufige Sicht auf Frauen über fünfzig ist oft fokussiert auf das, was (vermeintlich) nicht mehr geht. Mit fünfzig an der Hochschule habe ich realisiert, dass meine Lernfähigkeiten nicht eingeschränkt sind. Ich war in meinem Tun lediglich ein wenig langsamer als die jugendlichen Kolleg*innen. Mein großer Erfahrungsschatz kompensierte das aber mehr als ausreichend. Ich denke, es geht als Erstes darum, dass wir Frauen selber unsere Sicht ändern. Im Leben ab fünfzig tun sich großartige Chancen auf. Jetzt beginnt die Erntezeit für das, was sich über all die Jahre mit Freuden und Schmerzen entwickelt hat. Oft ist es genau die Zeit, um wieder erste Schritte zu wagen … etwas Neues in die Welt zu bringen, offen für die Möglichkeiten zu sein und sie mutig auszuprobieren. Deine Träume sind die Wegweiser. Jetzt beginnt die Zeit der großen Freiheit, nutze sie.

8 Kommentare

  1. ein großartiger Artikel, liebe Romy, der Lust auf den Herbst des Lebens macht. Wie gern hätte ich Frau Elmiger, Frau Binder und Frau Gauchat kennengelernt! Wobei Du ihnen in nichts nachstehst! Und ich bin mir sicher, dass so einige Schülerinnen in der Berufsschule Dich nennen würden, frug man sie nach einem Vorbild 🙂 Wunderschön, was Du für ein Legat für die jungen Frauen hinterlässt! Von Herz zu Herz, Mia

    1. Liebe Mia, danke, dass du diese Frage gestellt hast und eine Blogparade zu diesem Thema machst. Im Laufe des Schreibens realisierte ich immer mehr, wie wichtig dieses Thema ist. Für mich war es ein Schreibabenteuer, bei dem sich immer wieder neue Türen öffneten. Die vielen lebendigen und diversen Kommentare auf meinen Facebookbeitrag zeigten mir, dass diese Frage in Bewegung und ins Nachdenken bringt. Ja, ich denke auch, dass der Herbst des Lebens wunderbar und erfüllend sein kann. Das ist unabhängig von den Umständen und kommt aus unserem Inneren.
      Alles Liebe dir Romy

      Für alle, die gerne selber etwas zu diesem Thema schreiben möchten. Hier der Link zu Mias Blogparade, (bis zum 15.11. 22).

      https://mia-brummer.de/blogparade-frauen-ab-50/

  2. Ein so schöner Artikel, der uns Frauen jenseits der 50 Mut macht, die nächste Lebensepoche anzugehen und zu wissen, dass unsere zuvor gelebten Jahre, unser Weisheitspool ist. Für mich persönlich eine Zeit, wo ich mich freier denn je fühle!
    Liebe Grüße
    Nora

  3. Liebe Romy,
    wie lieb, dass du deinen schönen Artikel auch bei mir teilst. Ich hatte Mia schon ein bisschen um die Exklusivrechte beneidet, passt er doch bei uns beiden so gut! Deine lebendigen, wunderbaren, unkonventionellen Beispiele machen mir fast Lust das Älterwerden zu beschleunigen. Aber nein, ich will jede Minute dieser wertvollen Zeit genießen.
    Ganz liebe Grüße, Silke

  4. Liebe Romy,
    über die Blogparade bin ich auch zu Deinem wunderbaren Blog gekommen. Ich finde es spannend, wie Du das Thema aus deiner Sicht beschreibst. Wir definieren unseren Wert leider oft nur über die Arbeit. Dabei gibt es so vieles mehr im Leben.
    LG
    Vanessa

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